110 Dollar für das Barrel Öl – ist der »Ölfördergipfel« (Oil Peak) endlich erreicht? Nein!
Der Anstieg des Ölpreises auf über 110 $ für das Barrel Erdöl wird als Beweis dafür genannt, dass die Welt endlich den »Ölfördergipfel« (Oil Peak) erreicht hat; das ist angeblich der Punkt, an dem die Quellen des leicht zu fördernden Öls erschöpft sind, und ab dem es schwieriger und teurer wird, das verbleibende Öl zu fördern. Die Verfechter dieser These behaupten, der Ölpreis werde in den nächsten Jahren in dem Maße dramatisch steigen, wie die Vorräte zu Ende gehen. Selbst ich bin kurze Zeit auf diese »Ölfördergipfel«-Story hereingefallen, bis ich mich eingehender mit dieser Frage beschäftigte. Keinesfalls geht der Welt das Öl aus. Die Schauergeschichte vom Ölfördergipfel ist genauso ein geopolitischer Schwindel wie die Erderwärmung. Er soll die leichtgläubige Öffentlichkeit überzeugen, es gäbe keine Alternative zu einer drastischen Einschränkung des Lebensstandards. Der Schwindel ist Teil eines Projekts von Dick Cheney und seinen Freunde im großen Ölgeschäft. Der in die Höhe schnellende Ölpreis hat weniger mit einem Mangel an Öl als vielmehr mit Derivatspekulanten an der Wall Street und Hedge-Fonds zu tun, die mit Hilfes eines hohen Ölpreises Verluste bei Geschäften mit Dollars und am amerikanischen Hypotheken- und Aktienmarkt wettmachen können. So lange wie das Säbelrasseln in Washington über einen eventuellen Krieg gegen den Iran andauert, können sich die Spekulanten freuen. Niemand außer den vier größten und sehr verschwiegenen anglo-amerikanischen Ölriesen kennt die wirkliche Lage. Diese Multis und Dick Cheney, der ehemalige Chef des Ölausrüsters Halliburton, freuen sich über einen Ölpreis von 110 $ pro Barrel. Ich habe erfahren, dass sie es waren, die mit der Hilfe von Matt Simmons, Cheneys altem Vertrauten aus Texas, 2003 im Internet den Schwindel vom Ölfördergipfel verbreitet haben.
Seit der Zeit des ersten Ölschocks in den 1970er-Jahren beschäftige ich mich mit Öl; deshalb habe ich mich 2003 gewundert, dass es angeblich einen Ölfördergipfel gab.
Angeführt von Colin J. Campbell, einem ehemaligen Geologen bei Shell, behaupteten Vertreter der These vom Ölfördergipfel, der Welt drohe ungefähr im Jahr 2012 eine neue Krise: das dramatische Ende des billigen Öls, der sogenannte »Absolute Ölfördergipfel«. Das Öl, die Grundlage der modernen Industriegesellschaft, sei fast versiegt. Als Beweis für die Richtigkeit ihrer These verwies man auf die schnell steigenden Preise für Öl und Benzin.
Nach Campbells Ansicht beweist die Tatsache, dass seit den 1960er-Jahren keine neuen Öllager in der Nordsee mehr gefunden wurden, dass seine These richtig ist.
Die Ölfördergipfel-Schule gründet ihre Theorie auf die gängigen westlichen Lehrbücher für Geologie, die behaupten, Öl wäre ein »fossiler Brennstoff«, ein biologisches Ablageprodukt von nur begrenzter Menge. Der biologische Ursprung ist der Schlüssel zu Ölfördergipfel-Theorie, die zur Erklärung dafür herangezogen wird, dass man nur in ganz bestimmten Teilen der Welt Öl findet, weil es dort angeblich vor Millionen Jahren geologisch eingeschlossen worden ist.
Kings Prophezeihungen
Der Erste, der behauptete, das Öl gehe zu Ende, war der amerikanische Ölgeologe M. King Hubbert, der sich die alte Gaußsche Normalverteilungskurve vornahm und behauptete, Ölfelder verhielten sich nach demselben Muster. In den 1950er-Jahren hat man ihn bei der Ölindustrie ausgelacht, aber seine »Vorhersage«, wonach die USA etwa 1970 den Höhepunkt ihrer Ölproduktion erreichen würden, machte ihn bekannt. In der Tat erreichte die US-Ölproduktion in dieser Zeit ihren Höhepunkt. Aber nicht aus dem von Hubbert behaupteten Grund. Vielmehr beschlossen damals die großen internationalen Ölgesellschaften, saudi-arabisches und anderes profitträchtigeres Öl aus dem Nahen Osten anstelle des einheimischen Öls aus Kalifornien oder West-Texas zu nutzen. Sie bedrängten deshalb den Kongress, Steuervorteile für importiertes Öl zu gewähren; kleinere unabhängige Produzenten in den USA konnten mit dem saudischen Öl nicht konkurrieren, das für 0,25 $ pro Barrel gefördert wurde, den Tanker-Transport bereits eingerechnet. Dutzendweise mussten sie ihre Förderanlagen schließen, die Produktion in den USA schrumpfte. Mit Hubberts Idealthesen hatte das indes wenig zu tun.
King Hubberts berühmte Vorhersage über die Zukunft des Öls aus dem Jahr 1956 – sie liegt völlig daneben.
Peter Jackson von Cambridge Energy Research Associates betont: »M. King Hubberts Methode hinkt, denn sie berücksichtigt weder das Wachstum von Ressourcen, noch die Anwendung neuer Technologien, wirtschaftliche Faktoren oder den Einfluss der Geopolitik auf die Produktion. Seine Herangehensweise funktioniert nicht immer – auch nicht in den USA selbst – und eignet sich nicht als Modell für eine weltweite Produktionsprognose.«
Eine andere Herangehensweise in Russland
Seit den 1950er-Jahren gibt es in Russland eine ganz andere – im Westen fast unbekannte – Theorie über die Entstehung des Öls. Deren Vertreter halten die amerikanische Theorie vom biologischen Ursprung des Öls für nicht beweisbar und wissenschaftlich absurd. Sie verweisen darauf, dass westliche Geologen im letzten Jahrhundert schon mehrmals das Ende des Öls vorausgesagt haben, nur um dann wieder mehr, und zwar viel mehr Öl zu finden.
In den 1950er-Jahren war die Sowjetunion durch den Eisernen Vorhang vom Westen abgeschnitten. Der Kalte Krieg war in vollem Gang. Russland verfügte nur über geringe Ölvorkommen für die eigene Wirtschaft. Ausreichende Mengen eigenen Öls zu finden, hatte deshalb für die Frage der nationalen Sicherheit allerhöchste Priorität.
Wissenschaftler am Institut für Erdphysik der Russischen Akademie der Wissenschaften und am Geologischen Institut der Ukraine begannen Anfang der 1940er-Jahre mit intensiven Forschungen über die Entstehung des Öls. 1956 gab Prof. Wladimir Profirjew die Erkenntnisse bekannt. »Rohöl und Erdgas stehen in keinem ursächlichen Zusammenhang mit biologischer Materie, die aus dem Bereich der Erdoberfläche stammt. Sie sind ursprüngliche Materialien, die aus großer Tiefe hervorbrechen.« Die sowjetischen Geologen hatten die orthodoxe Geologie des Westens auf den Kopf gestellt. Sie bezeichneten ihre Theorie der Öl-Entstehung als »abiotische« Theorie, im Unterschied zu der im Westen vertretenen Theorie des biologischen Ursprungs.
Wenn sie recht hatten, dann wäre die Ölversorgung der Welt nur durch die Menge organischer Kohlenwasserstoffkomponenten tief im Erdinneren zur Zeit der Erdentstehung begrenzt. Die Verfügbarkeit des Öls hinge allein von der Technologie für extrem tiefe Bohrungen und der Erforschung des Erdinneren ab. Die russischen Wissenschaftler fanden auch heraus, dass erschöpfte Ölfelder wieder zur weiteren Produktion aktiviert werden konnten. Nach ihrer Ansicht entsteht das Öl tief im Erdinneren bei hohen Temperaturen und unter sehr hohem Druck, wie er etwa für die Entstehung von Diamanten erforderlich ist. »Öl ist ein Urmaterial tiefen Ursprungs, dass unter hohem Druck durch ›kalte‹ Eruptionsprozesse in die Erdkruste gebracht wird«, argumentierten sie und verwarfen die Idee, Öl sei ein biologisches Ablagerungsprodukt von Pflanzen und Tierfossilien; das sei ein Schwindel, mit dem der Mythos von der Begrenztheit der Ressourcen aufrechterhalten werden sollte.
Während die US-Ölmultis in den 1960er-Jahren noch eifrig dabei waren, die leicht zugänglichen Felder in Saudi-Arabien, Kuwait und dem Iran sowie in anderen Gebieten unter ihre Kontrolle zu bringen, testeten die Russen bereits fleißig ihre alternative Theorie. Sie begannen mit Bohrungen in einer angeblich öden Region Sibiriens. Dort entwickelten sie elf große Ölfelder – darunter ein riesengroßes –, die sie auf Grundlage ihrer »abiotischen« Hypothesen entdeckt hatten. Sie bohrten bis in die kristallinen Erdschichten und trafen auf schwarzes Gold in einer dem »Alaska Ölfeld« vergleichbaren Größenordnung, und das in einem Gebiet, in dem es nach Überzeugung westlicher Geologen kein Öl geben konnte, weil es sich nicht um ein Sedimentbecken handelte.
US-Finanzminister Henry Paulson, ehemals Chef von Goldman Sachs, und die Wall Street kontrollieren heute die Ölpreise.
Danach gingen die russischen und ukrainischen Geophysiker nach Vietnam und boten die Übernahme der Kosten für die Bohrungen an, weil sie beweisen wollten, dass ihre neue geologische Theorie zutraf. Die Russen erschlossen das »White Tiger Ölfeld« in Vietnam, das im Basaltgestein 17.000 Fuß unter der Erde lagert und förderten 6.000 Barrel pro Tag, um dem energiearmen Vietnam auf die Beine zu helfen. In der UdSSR vervollständigten die in der abiotischen Lehre ausgebildeten russischen Geologen ihr Wissen, so dass die UdSSR bereits Mitte der 1980er-Jahre zum größten Ölproduzenten der Welt wurde. Das war genau die Zeit, als die CIA auf der Grundlage von King Hubberts Modell prognostizierte, der »Fördergipfel« für das russische Öl werde etwa 1987 erreicht. Im November 2003 verhaftete Russlands Geheimdienst FSB den russischen Milliardär Michail Chodorkowski, Chef von Yukos-Sibneft-Öl, und zwar nur wenige Tage nach einem privaten Treffen mit Dick Cheney, bei dem geplant wurde, dass die Aktienmehrheit bei Yukos an den amerikanischen Ölriesen ExxonMobil verkauft werden sollte. BP hatte damals gerade eine Beteiligung an der riesigen russischen Ölfirma TNK-Öl erworben. Hätte Exxon die Yukos-Anteile erhalten, hätten die anglo-amerikanischen Ölgiganten auch das Wissen der in den abiotischen Techniken ausgebildeten Geologen und Ingenieure übernommen – diese Experten konnten nicht nur Tiefbohrungen durchführen, sondern beherrschten auch die russische Methode der Wiedererschließung versiegter Quellen durch hochentwickelte Bohrtechniken. Im Westen sind diese Methoden unbekannt.
Was soll Cheneys hochriskanter Krieg zur Kontrolle des Irak, wenn es für die nächsten Jahrhunderte, vielleicht gar noch länger, Öl im Überfluss gibt? Mehr als ein Jahrhundert lang haben amerikanische und andere westliche Ölgiganten das Öl weltweit kontrolliert, weil sie Schlüsselstaaten wie Saudi-Arabien, Venezuela oder Nigeria in der Hand hatten. Auf der Kontrolle dieses Ölflusses beruht ihre politische Macht. Heute, wo viele dieser riesigen Felder in westlicher Hand langsam versiegen, betrachten die Unternehmen die staatlichen Ölfelder im Irak und Iran als letzte verbleibende Quelle billigen und leicht zu fördernden Öls. Angesichts der enormen Nachfrage für dieses Öl von Seiten Chinas und jetzt auch Indiens erwächst den USA und ihrem engsten Alliierten Großbritannien die geopolitische Aufgabe, so schnell wie möglich die direkte militärische Kontrolle über diese Reserven im Nahen Osten zu erlangen. Das weiß man in Washington genauso gut wie in London 10 Downing Street und in Peking. Vizepräsident Cheney war vor seiner Amtsübernahme Chef von Halliburton, dem größten Anbieter geophysikalischer Ausrüstungen. Er weiß wahrscheinlich besser als Jeder andere, wo man nach Öl suchen muss. Die einzige potenzielle Bedrohung für die amerikanische Kontrolle über das Öl liegt nun einmal in Russland und bei den inzwischen staatlich kontrollierten russischen Ölriesen.
Donnerstag, 17.04.2008
Kategorie: F. William Engdahl, Allgemeines, Geostrategie, Enthüllungen, So lügen Journalisten