Evo Morales: Neue Stimme der „Dritten Welt” [/size]
Der bolivianische Präsident Evo Morales wird immer mehr zu einer Stimme der „Dritten Welt”, zu einem Mahner, der auf dem Hintergrund seiner eigenen Aymara-Kultur und im Namen der durch Kolonialismus, Neokolonialismus und Globalisierung unterdrückten und ausgebeuteten Völker zu einem neuen Modell der Entwicklung aufruft, das nicht auf grenzenloser Gier und Verschwendung aufbaut und damit nicht nur die Menschheit, sondern das Überleben des gesamten Planeten bedroht. In seiner Botschaft anlässlich der Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation WTO, die die gesamte Welt dem Diktat der reichen Industrieländer unterwerfen soll, benennt er schonungslos die gegenwärtigen Übel und ihre Ursachen:
„Wir müssen Schluss machen mit dem Konsumismus, der Vergeudung und dem Luxus. Im ärmsten Teil der Welt sterben jedes Jahr Millionen Menschen vor Hunger. Im reichsten Teil der Welt werden Millionen Dollar ausgegeben, um die Fettleibigkeit zu bekämpfen. Wir verbrauchen im Überfluss, wir vergeuden die Naturressourcen und wir produzieren Müll, der die Mutter Erde vergiftet. … Der Kapitalismus will uns alle uniformieren, um uns zu simplen Konsumenten zu machen. Für den Norden gibt es nur ein einziges Modell der Entwicklung, das seine. Die Einheitsmodelle auf ökonomischer Ebene werden von Prozessen der generalisierten Akkulturation begleitet, um uns eine einzige Kultur aufzuzwingen, eine einzige Mode, eine einzige Art zu denken und die Dinge zu sehen. Eine Kultur zu zerstören, den Angriff gegen die Identität eines Volkes zu führen ist der schlimmste Schaden, den man der Menschheit zufügen kann.”
Mit diesen und ähnlichen Äußerungen von Präsident Morales wird auf eindrucksvolle Weise bestätigt, wie gerechtfertigt seine Nominierung für den Friedensnobelpreis ist. Bitte lesen Sie im Folgenden die vollständige Botschaft von Präsident Morales:
Anlässlich der Verhandlungsrunde der WTO
Der internationale Handel kann eine Funktion von Bedeutung bei der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Linderung der Armut übernehmen. Wir erkennen die Notwendigkeit an, dass allen unseren Völkern die Vergrößerung der Chancen und die Wohlstandsfortschritte zuteil werden, die das multilaterale Handelssystem hervorbringt. Die Mehrheit der Mitglieder der WTO sind Entwicklungsländer. Wir streben an, ihre Bedürfnisse und Interessen in das Zentrum des Arbeitsprogramms zu rücken, das in der vorliegenden Erklärung angenommen wird. Ministerielle Erklärung von Doha der Welthandelsorganisation, 14. November 2001
Mit diesen Worten begann die Verhandlungsrunde der WTO vor sieben Jahren. Stehen tatsächlich die wirtschaftliche Entwicklung, die Linderung der Armut, die Bedürfnisse aller unserer Völker, die Vergrößerung der Chancen für die Entwicklungsländer im Zentrum der gegenwärtigen Verhandlungen in der WTO?
Als erstes muss ich sagen, wenn es so wäre, dann müssten die 153 Mitgliedsländer und vor allem die große Mehrheit der Entwicklungsländer die Hauptakteure der Verhandlungen der WTO sein. Aber was wir sehen ist, dass eine Handvoll von 35 Ländern durch den Generaldirektor zu informellen Treffen eingeladen werden, damit sie wesentlich in der Verhandlung vorankommen und die Abkommen dieser „Entwicklungsrunde” der WTO vorbereiten.
Die Verhandlungen in der WTO haben sich in eine Schlacht der entwickelten Länder um die Marktöffnung der Entwicklungsländer zugunsten ihrer großen Unternehmen verwandelt.
Die Agrarsubventionen des Nordens, die hauptsächlich in die Hände der Nahrungsmittel erzeugenden Agrargesellschaften der USA und Europas wandern, werden nicht nur fortgesetzt, sondern erhöhen sich, wie das Landwirtschaftsgesetz oder die „Farm Bill 2008”1 der Vereinigten Staaten zeigt. Die Entwicklungsländer setzen die Zölle für ihre landwirtschaftlichen Produkte herab, während die realen Subventionen2, die die USA oder die EU für ihre Agrarprodukte gewähren, nicht verringert werden.
Auf der Ebene der Industrieprodukte versucht man in den Verhandlungen der WTO zu erreichen, dass die Entwicklungsländer Zollkürzungen von 40 bis 60% vornehmen, während die entwickelten Länder ihre Zölle im Durchschnitt um 25 bis 33% verringern.
Für Länder wie Bolivien wird die Erosion der Zollpräferenzen durch die allgemeine Verringerung der Zölle negative Effekte auf die Wettbewerbsfähigkeiten unserer Exporte haben.
Die Anerkennung der Asymmetrien und die reale und effektive spezielle und differenzierte Behandlung zugunsten der Entwicklungsländer werden in ihrer Umsetzung durch die entwickelten Länder eingeschränkt und behindert.
In den Verhandlungen wird darauf gedrängt, dass neue Dienstleistungssektoren durch die Länder liberalisiert werden, während man doch die Grunddienstleistungen Bildung, Gesundheit, Wasser, Energie und Telekommunikation vom Text des Allgemeinen Abkommens der WTO über den Handel mit Dienstleistungen definitiv ausschließen sollte. Diese Dienstleistunngen sind Menschenrechte, die nicht Gegenstand privaten Handels und der Liberalisierungsregeln, die zur Privatisierung führen, sein können.
Die Deregulierung und Privatisierung der Finanzdienstleistungen sind unter anderem die Ursache der gegenwärtigen Weltfinanzkrise. Größere Liberalisierung der Dienstleistungen wird nicht mehr Entwicklung bringen, sondern größere Möglichkeiten von Krise und Spekulation in lebenswichtigen Angelegenheiten wie die Nahrungsmittel.
Das Regime des intellektuellen Eigentums, das die WTO aufgerichtet hat, hat vor allem die transnationalen Unternehmen bevorteilt, die die Patente monopolisieren, wodurch sie die Preise der Medikamente und anderer wesentlicher Produkte verteuern und zur Privatisierung und Vermarktung des Lebens selbst anreizen, wie die verschiedenen Patente über Pflanzen, Tiere und selbst menschliche Gene beweisen.
Die ärmsten Länder werden die Hauptverlierer sein. Die ökonomischen Projektionen eines potentiellen Abkommens der WTO, selbst die von der Weltbank3 angestellten, zeigen an, dass die akkumulierten Kosten durch den Verlust von Arbeitsplätzen, die Beschränkungen für die Formulierung nationaler Politiken und den Verlust von Zolleinnahmen höher sein werden als die „Wohltaten” der „Entwicklungsrunde”.
Nach sieben Jahren ist die Runde der WTO in der Vergangenheit verankert und nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Erscheinungen, die wir vor unseren Augen haben: die Ernährungskrise, die Energiekrise, der Klimawandel und die Vernichtung der kulturellen Vielfalt. Man macht die Welt glauben, dass man ein Abkommen brauche, um eine neue Weltlage zu bewältigen, aber dieses Abkommen widerspiegelt diese Realität nicht. Seine Grundlagen sind nicht geeignet, diese neuen Weltprobleme zu lösen.
Studien der FAO zeigen, dass es mit den gegenwärtigen landwirtschaftlichen Produktivkräften möglich ist, 12 Mrd. Menschen zu ernähren, das heißt fast das Doppelte der gegenwärtigen Weltbevölkerung. Aber es gibt eine Ernährungskrise, weil nicht für das menschliche Wohlergehen produziert wird, sondern für den Markt, die Spekulation und die Rentabilität der großen Produktions- und Handelsgesellschaften für Nahrungsmittel. Um der Ernährungskrise zu begegnen, muss man die bäuerliche und kommunitäre Familienwirtschaft stärken. Wir, die Entwicklungsländer, müssen das Recht zurückerobern, unsere Importe und Exporte zu regulieren, um die Ernährung unserer Bevölkerung zu sichern.
Wir müssen Schluss machen mit dem Konsumismus, der Vergeudung und dem Luxus. Im ärmsten Teil der Welt sterben jedes Jahr Millionen Menschen vor Hunger. Im reichsten Teil der Welt werden Millionen Dollar ausgegeben, um die Fettleibigkeit zu bekämpfen. Wir verbrauchen im Überfluss, wir vergeuden die Naturressourcen und wir produzieren Müll, der die Mutter Erde vergiftet.
Die Länder müssen den Konsum dessen, was lokal produziert wird, priorisieren. Ein Produkt, das um die halbe Welt geht, um seinen Bestimmungsort zu erreichen, kann billiger sein als ein anderes, das im Lande produziert wird, aber wenn wir die Umweltkosten des Transports dieser Ware mit in Rechnung stellen, den Energieverbrauch und die Menge der Kohlendioxyd-Emisionen, die er hervorbringt, dann können wir zu der Schlussfolgerung gelangen, dass es gesünder für den Planeten und die Menschheit ist, dem Verbrauch dessen den Vorrang zu geben, was am Ort produziert wird.
Der Außenhandel muss eine Ergänzung der lokalen Produktion sein. Auf keinen Fall dürfen wir den Außenmarkt auf Kosten der einheimischen Produktion privilegieren.
Der Kapitalismus will uns alle uniformieren, um uns zu simplen Konsumenten zu machen. Für den Norden gibt es nur ein einziges Modell der Entwicklung, das seine. Die Einheitsmodelle auf ökonomischer Ebene werden von Prozessen der generalisierten Akkulturation begleitet, um uns eine einzige Kultur aufzuzwingen, eine einzige Mode, eine einzige Art zu denken und die Dinge zu sehen. Eine Kultur zu zerstören, den Angriff gegen die Identität eines Volkes zu führen ist der schlimmste Schaden, den man der Menschheit zufügen kann.
Die Respektierung und die friedliche und harmonische gegenseitige Ergänzung der verschiedenen Kulturen und Wirtschaften ist wesentlich, um die Erde, die Menschheit und das Leben zu retten.
Damit dies eine Verhandlungsrunde werde, die effektiv der Entwicklung dient und in der Gegenwart und Zukunft der Menschheit und des Planeten verankert ist, müsste sie:
die Beteiligung der Entwicklungsländer an allen Treffen der WTO garantieren und mit den exklusiven Treffen im „grünen Saal”5 Schluss machen;
wirklich asymmetrische Verhandlungen zugunsten der Entwicklungsländer einführen, in denen die entwickelten Länder effektive Zugeständnisse machen;
die Interessen der Entwicklungsländer respektieren, indem ihre Fähigkeit zur Definition und Umsetzung nationaler Politiken auf den Gebieten Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen nicht eingeschränkt wird;
wirksam die protektionistischen Maßnahmen und die Subventionen der entwickelten Länder reduzieren;
das Recht der Entwicklungsländer sichern, ihre entstehenden Industrien für die Zeit, die notwendig ist, zu schützen, in der gleichen Weise, wie es in der Vergangenheit die industrialisierten Länder taten;
das Recht der Entwicklungsländer garantieren, ihre Politiken auf dem Gebiet der Dienstleistungen zu regulieren und zu definieren, wobei ausdrücklich die Grunddienstleistungen aus dem Allgemeinen Abkommen der WTO über den Handel mit Dienstleistungen ausgeschlossen sein sollen;
die Monopole der großen Unternehmen über das intellektuelle Eigentum begrenzen, den Technologietransfer fördern und die Patentierung jeglicher Lebensform verbieten;
die Ernährungssouveränität der Länder gewährleisten, indem jegliche Beschränkung der Fähigkeit der Staaten zur Regulierung der Exporte und Importe von Nahrungsmitteln beseitigt wird;
Maßnahmen ergreifen, die dazu beitragen, die Konsumsucht, die Vergeudung von Naturressourcen, den Ausstoß von Treibhausgasen und die Verursachung von Müll, der die Mutter Erde schädigt, zu beschränken.
Im 21. Jahrhundert kann eine „Entwicklungsrunde” nicht eine für den „Freihandel” sein, sondern muss einen Handel fördern, der zum Ausgleich zwischen den Ländern, den Regionen und mit der Mutter Natur beiträgt, und Indikatoren festlegen, die es ermöglichen, die Regeln des Handels zugunsten der nachhaltigen Entwicklung zu bewerten und zu korrigieren.
Als Regierungen haben wir eine enorme Verantwortung für unsere Völker. Abkommen wie die der WTO müssen breit bekannt gemacht und von allen Bürgern diskutiert werden, nicht nur von Ministern, Unternehmern und „Experten”. Wir, die Völker der Welt, müssen aufhören, passive Opfer dieser Verhandlungen zu sein, und zu Protagonistn unserer eigenen Gegenwart und Zukunft werden.
1 Die „Farm Bill 2008” wurde am 22. Mai durch den Kongress der Vereinigten Staaten angenommen. Sie autorisiert Ausgaben, die Subventionen für die Landwirtschaft bis zu 307 Mrd. Dollar in 5 Jahren einschließen. Davon können annähernd 208 Mrd. Dollar für Ernährungsprogramme ausgegeben werden.
2Der aktuelle Text zur Landwirtschaft schlägt vor, die Subventionen der USA in einer Höhe von 13 bis 16,4 Mrd. Dollar jährlich zu kürzen. Indessen liegen die realen Subventionen, die die USA gegenwärtig aufwenden, bei etwa 7 Mrd. Dollar im Jahr. Zum andern bietet die Europäische Union in den WTO-Verhandlungen die Reform an, die sie 2003 in ihrer Gemeinsamen Landwirtschaftspolitik durchführte, ohne größere Öffnungen vorzuschlagen.
3Die Entwicklungsländer haben wenig zu gewinnen bei der Doha-Runde: Die voraussichtlichen Gewinne werden für diese Länder 0,2% betragen, die Verringerung der Weltarmut wird 2,5 Mill. betragen (weniger als 1% der Armen in der Welt) und die Verluste durch nichteingenommene Zölle werden mindestens 63 Mrd. Dollar ausmachen. (Anderson, Martin, and van der Mensbrugghe, „Market and Welfare Implications of Doha Reform Scenarios” in: Agricultural Trade Reform and the Doha Development Agenda, Anderson and Martin, World Bank/ / Back to the Drawing Board: No Basis for Concluding the Doha Round of Negotiations" by Kevin P. Gallagher and Timothy A. Wise, RIS Policy Brief #36)
4Diese Regulierung muss das Recht einschließen, Steuern auf die Exporte zu erheben, Zölle zu senken, um Importe zu erleichtern, Exporte zu verbieten, lokale Produktionszweige zu subventionieren, Preisgrenzen festzulegen, letztlich jede Maßnahme zu ergreifen, die entsprechend der Realität jedes Landes am besten der Absicht dient, die Ernährung der Bevölkerung zu sichern.
[size=85]5 „Green room meeting” oder „Treffen im grünen Saal” ist der Name der informellen Verhandlungstreffen in der WTO, an denen eine Gruppe von 35 durch den Generaldirektor ausgewählten Ländern teilnimmt.
6 Eine reale Kürzung der Subventionen der USA würde weniger als 7 Mrd. Dollar im Jahr betragen.