Unglaublich: "Soll-Quoten" und Prämien für Sanktionen gegen Hartz-IV-Betroffene
26.07.10 - Glaubt man der Stimmungsmache von Unternehmern und bürgerlichen Politikern, so ist das Problem von sieben Millionen Hartz-IV-Betroffenen nicht die Arbeitsplatzvernichtung, sondern ihr Unwille, eine Arbeit aufzunehmen. Deshalb werden sie seit fünfeinhalb Jahren mit Eingliederungsvereinbarungen "gefordert" und mit Ein-Euro-Jobs "gefördert". Insbesondere mit Sanktionen sollen Langzeitarbeitslose erpresst werden, selbst die schlechtesten Arbeitsbedingungen und die niedrigsten Löhne zu akzeptieren.
Frank Martin, Fallmanager für Jugendliche unter 20 Jahren bei der ARGE in Aachen hat in einem Leserbrief an "ver.di PUBLIK 4/2010" enthüllt, dass dafür von höchster Ebene "Soll-Quoten" festgelegt sind: "Hinterfragen muss man die Intention des Gesetzgebers, der für die Argen Soll-Quoten vorschreibt, d.h. wie viele Sanktionen durchzuführen sind." Wie Montagsdemonstranten in Duisburg erfuhren, gehören inzwischen Prämien für Fallmanager, die die meisten Sanktionen verhängen, zum Normalfall.
Für die Betroffenen hat das oft drastische Folgen. Unter 25-Jährige bekommen schon beim ersten Verstoß, der mit 30 Prozent Abzug von der Regelleistung geahndet wird, überhaupt kein Geld mehr. Sie müssen Lebensmittelgutscheine beantragen. Nicht selten führt das inzwischen zur Obdachlosigkeit von ALG-II-Beziehern.
Dabei haben viele dieser Sanktionen selbst "vor Gericht" keinen Bestand. Gegen jede zehnte der 789.000 Sanktionen, die 2008 verhängt wurden, wurde Widerspruch eingelegt. In rund 40 Prozent wurde den Widersprüchen recht gegeben, weil ARGE-Bescheide nachweislich falsch waren. Und die Klagen, die bis vor Gericht kamen, waren zu 65,3 Prozent erfolgreich.
Die Politik der Forcierung willkürlicher Bescheide und Sanktionen geht direkt vom Bundesarbeitsministerium aus. Das liegt auf der gleichen Linie wie die jetzt von der Regierung im Rahmen ihres Krisenprogramms beschlossenen erneuten Kürzungen gerade bei den ALG-II-Beziehern (siehe "rf-news"-Bericht vom 7. Juni). Vorige Woche wurde bekannt, dass eine Expertengruppe des Arbeitsministeriums vorgeschlagen hat, das Wohngeld für Hartz-IV-Empfänger zu kürzen. Bei der Bemessung sollen demnach künftig regionale Merkmale berücksichtigt werden. Das würde dazu führen, dass in bestimmten Städten z.B. für Alleinstehende nur noch 25 statt bisher 45 Quadratmeter bezahlt würden. Gleichzeitig soll die kostenlose Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln für Schwerbehinderte wegfallen.
Die Hartz-IV-Betroffenen sind gut beraten, gemeinsam mit denen, die in den Betrieben und Verwaltungen täglich die Ausbeutungsoffensive zu spüren bekommen, gegen dieses unmenschliche Sanktionssystem und das ganze Hartz-IV-Gesetz auf die Barrikaden zu gehen. Der geeignete Ort dafür sind die wöchentlichen Montagsdemonstrationen. Diese werden in den kommenden Wochen feiern, wie sie seit nunmehr sechs Jahren erfolgreich unter Beweis gestellt haben, dass es sich zu kämpfen lohnt.